Der Unruhestifter
Technische Daten
Leistung: 184 kW/250 PS bei 5500 U/min
Drehmoment: 360 Nm bei 2000-4500 U/min
Hubraum: 1999 cm³
Zylinder: 4/Reihe
Vmax: 248 km/h (GPS 257,2 km/h)
0-100 km/h: 6,5 sek.
EU-Leergewicht: 1437 kg
Bereifung: Goodyear Eagle F1, 235/40 R 18
EU-Normverbrauch: 6,8 Liter/100 km
Testverbrauch: 10,3 Liter/100 km
Grundpreis: 29.400 €
Bruttolistenpreis: 33.295 €
Gesamttestdistanz: 1357 km
Fahrprofil: 50 % Überland und Stadt, 50 % Autobahn
Ausstattung (zusätzlich zur Serie "ST")
● Metallic-Lackierung „Indic-Blau Metallic“
● Leder-Sport-Paket (2-Zonen-Klimaautomatik, Teilledersitze)
● Easy-Driver-Paket I (Active City Stop, Park-Pilot hinten)
● Winter-Paket (Frontscheibe, Lenkrad, Vordersitze beheizbar)
● Multifunktionale Xenon-Scheinwerfer
● Seitenscheiben, dunkel getönt
Biedermann und Brandstifter
Man nehme einen Ford Focus, verpasse ihm Seitenschweller, eine sportliche Frontschürze, rote ST-Logos an Front und Heck, einen fetzigen Dachkantenspoiler, Diffusor und Mittelrohrauspuff - fertig das Sportmodell diesseits des vorwitzigen RS. Das Facelift Anfang 2015 hat dem Ford Focus ST sichtlich gut getan. Dies gilt insbesondere für das Interieur des 4,36 Meter langen und 1,82 Meter breiten Kompakten, das nun - von einigen teils unbeschrifteten Tasten befreit - deutlich entschlackter wirkt. Auch bei der gefühlten Qualität hat sich etwas getan, auch wenn es immer noch bei viel Hartplastik, Softlack und aufgeschäumten Kunststoff bleibt. Es sieht so aus, wie in jedem anderen Focus ab Modelljahr 2015. Wären da allerdings nicht die drei Zusatzinstrumente über der Mittelkonsole, die in sportlicher Tradtion Motordaten wie Motoröltemperatur, Ladedruck und Öldruck an das interessierte Auge vermitteln. Ganz unnütz sind diese Informationen freilich nicht, doch reizt ihre dominante Unterbringung zur riskanten Ablenkung. Dabei fordert der Focus ST bisweilen die volle Aufmerksamkeit, wie sich später im Fahreindruck herausstellen wird. Beim mittelmäßigen Platzangebot gleicht der ST verständlicherweise seinen zivilen Geschwistern, bei der dürftigen Übersichtlichkeit ebenso.
Weitere ST-Insignien sind auf dem griffigen Sportlederlenkrad sowie den packenden Recaro-Sportsitzen zu entdecken, deren einzige Kritik der zu hohen Einbaulage gilt. Beleibtere Figuren werden sich von den schraubstockartigen Haltekräften der prächtigen Sitzwangen sehr in die Enge gezwängt fühlen, doch unsereins - mit etwas weniger Wohlspeck und fahrspaßeinschränkender Körpermasse ausstaffiert - hält es ungeniert einige Stunden hinter dem Volant aus, ohne Wehklagen äußern zu müssen. So nimmt man gern Platz, erfasst die sportlich motivierte Alupedalerie und den silbrig verzierten Schalthebel - und drückt letztlich voller Entschlossenheit auf den Power-Knopf.
Ecoboost? Weniger Eco, mehr Boost.
Man könnte ihn natürlich auch einfach Ford Focus 2.0 Ecoboost nennen. Das geht. Aber es wäre unnötig langweilig. Mit 250 PS und 360 Nm hat er sich das Prädikat "Sport Technology" wahrlich verdient - ein VW Golf GTI hat hier selbst in seiner Performance-Ausführung das Nachsehen. Mit kernigem Klang macht der Motor dank Sound-Symposer auf sich aufmerksam. Es scheint, als wollte man ihm die raue Art des fünfzylindrigen Vorgängers eintrichtern. Auf rotzende Auspuffspielereien verzichtete man - hier bleibt bei einem bassigen Blues. So zeigt sich der Focus ST akustisch gelassen und nie zu aufdringlich. Dabei stehen bei ihm nach kürzester Zeit immerhin bis zu 261 km/h auf dem Digitaltacho, wenn man fleißig alle sechs Gänge der leicht hakeligen Sechsgangbox sortiert und mit Drehbegeisterung lechzend auf Sechsdreiviertel gejubelt hat. Ein Automatikgetriebe ist nicht verfügbar - aber auch nicht zwingend nötig. In der Längsrichtung kann der heißgemachte Focus durchaus überzeugen, so mancher Mitspieler wird zum Zuschauer seiner Performance degradiert. Für Fahrspaß auf der Autobahn ist dank reichlich "Boost" gesorgt. Da der Motor auch unter 2000 U/min kein Mauerblümchen ist und für einen kräftig aufgeladenen Turbomotor beinahe beängstigend direkt auf jeden noch so kleinen Gaspedalstoß anspricht, ist für Fahrspaß auch im Alltag gesorgt.
Der Kurvenmagnet
Das gilt umso mehr dann, wenn sich ein paar Kurven zwischen die Geraden mogeln. Oder anders gesagt: Wenn Geraden nichts weiter sind, als die kürzeste Verbindung zweier Kurven. Dann wird man Zeuge der feinnervigen Servolenkung, die ausgesprochen direkt arbeitet und rückmelderisch Auskunft über die Fahrbahn preisgibt. Leider zählen dazu auch die Antriebseinflüsse, die im Überfluss vorhanden sind und den vorderradangetriebenen Focus ST bei unachtsamer Behandlung des Gaspedals nicht ganz spurtreu hin- und herwerfen. Mal eben in der Kurve saftig herausbeschleunigen? Nicht im ST. Zwar ist eine elektronische Differentialsperre namens Torque Vectoring Control (eTVC) vorhanden, doch ihr Effekt ist in Bezug auf die Traktion vernichtend gering. Demnach gilt es, die maximal 1,55 bar Ladedruck gefühlvoll abzurufen. Dann wetzt der Focus zielgenau und neutral dank der grippigen 18"-Räder durch jede noch so enge Kurve. Und überrascht bei Lastwechseln mit einem lebendigen Heck. Ja, der Focus ST ist sehr unterhaltsam. Man sollte genau wissen, was man tut, wenn man die dreistufige Stabilitätskontrolle in den Ruhemodus schickt. Damit ist er so etwas Ähnliches wie ein Fiesta ST für Erwachsene - immer noch ein kleiner Rebell, aber bei fehlender Motivation des Fahrers gesetzt und unaufgeregt. Zwar gibt sich der Focus ST laut Ford als "unvergleichbar" - unnahbar möchte man fast sagen -, doch wenn es einen Konkurrenten gibt, dann ist es der VW Golf GTI. Im Gegensatz zum Kölner Sportgerät benötigt der Evergreen aus Wolfsburg wenig Fahrtalent. Das stürmische Verhalten des Focus ST ist Fluch und Segen zugleich: Da ein wenig tückisch und immer mit Bedacht zu führen, auf der anderen Seite einfach nur ein höllischer Spaß, dem der Golf GTI einfach nicht das Wasser reichen kann. Einzig eine ordentliche Vorderachssperre wäre sehr wünschenswert. Und wenn man dann noch näher an der Straße sitzen dürfte, wäre das Fahrerlebnis perfekt. Bei der Fahrwerksabstimmung hat Ford einen guten Kompromiss gefunden, die auf Kosten sporadischen Hoppelns die Seitenneigung auf ein Minimum reduziert. Das sprichwörtliche Brett jettet durch die Landschaft. Gnadenlos hart ist der ST nicht, eine Sänfte aber genauso wenig. Etwas mehr Biss würde man den serienmäßigen Bremsen zutrauen, die so auch im normalen Focus zu finden sind. Auf der Landstraße genügen ihre Verzögerungswerte völlig, die Dosierbarkeit stellt keinerlei Herausforderung dar. Problematischer wird es bei Vollbremsung aus hoher Geschwindigkeit, wenn der Focus tänzelnd über die Fahrspur gleitet. Aber das ist wohl Teil der Show.
Bei aller Freude darf der gern mal zweistellige Verbrauch dann allerdings nicht in schockierende Abwehrhaltung münden. Viel Eco steckt nicht im Ecoboost, der VW-Motor spart gut und gerne einen Liter. Auch bei sehr schonender Fahrweise - völlig realitätsfremd angesichts der stetig lauernden Leistung - ist eine Fünf vor dem Komma ein akrobatischer Akt, der sehr viel Disziplin erfordert. Da der humane 1,5-Liter Ecoboost nicht sehr viel sparsamer ausfällt, ist das Prädikat "Saufziege" beim leistungswuchernden ST dann allerdings dennoch unangebracht. Für ausreichend Reichweite sorgt der 62 Liter fassende Tank - beim GTI müssen 50 Liter genügen. Bei Köln gegen Wolfsburg steht es also letztlich unentschieden.
Vernünftige Unvernunft
Recht vernünftig geht es auch beim Kaufpreis weiter. Mit Ford-Aktionspreis startet der sportliche Focus bei 25.990 €. Allerdings ist die Serienausstattung nicht gerade üppig. Da aber jedes Gramm zählt - nicht nur beim Verbrauch, sondern auch auf der Waage - freut man sich über den Verzicht unwesentlicher Kleinigkeiten, so dass am Ende noch akzeptable 1437 kg zu nennen sind. Aus diesem Grund hat Ford allerdings auch auf eine richtige Differentialsperre verzichtet. Das wiederum muss man den Kölnern beinahe schon wieder übel nehmen...
Wer den Ford Focus der dritten Generation mag, wird den ST lieben. Es wurde letztlich nicht mehr angetastet, als unbedingt sein muss. Trotz der sicht- und fühlbaren Nähe zum Öko-Focus mit 1,0-Liter Dreizylinder Ecoboost gibt sich der ST deutlich motivierter, sobald man in ihm Platz nehmen durfte. Es keimt zweifellos der Gedanke auf, dass der ingeniöse RS mit ausgeklügeltem Allradantrieb und weiteren 100 PS mehr die Vorstufe zum Paradies sein muss.
Video-Material:
Sound-Check
https://youtu.be/7mUcnia3jaQ
Längsbeschleunigung (ohne Traktionskontrolle)
https://youtu.be/o-A76T-VPW4